Da Strom ein standardisiertes, austauschbares Produkt ist, stehen Preis und Verfügbarkeit (Versorgungzuverlässigkeit) bei den Kunden meist an erster Stelle. Umweltverträglichkeit, Service- und Spannungsqualität sind dagegen eher abstrakte Grössen und werden oft weniger stark gewichtet.
Nach dem StromVG obliegt den schweizerischen Netzbetreibern die Aufgabe der “Gewährleistung eines sicheren, leistungsfähigen und effizienten Netzes”. Sie sind somit aufgefordert, eine Balance zwischen Kosteneffizienz und Netz-Verfügbarkeit zu finden.
Die Netz-Verfügbarkeit wird in verschiedenen Kennzahlen gemessen und ausgedrückt. Nicht alle Kennzahlen sind geeignet, um ein volkswirtschaftliches Optimum zwischen Netzkosten und der Netz-Verfügbarkeit zu finden. Die untenstehende Grafik zeigt exemplarisch auf, wie ein Optimum zwischen Netzkosten und Netzverfügbarkeit gefunden werden kann. Sowohl die Schadenskosten wie auch die Grenzkosten für die Vermeidung von Ausfällen müssen bewertet werden können um eine Annäherung an das Optimum der Gesamtkosten zu ermöglichen.
(Die Versorgungsqualität setzt sich aus Netz-Verfügbarkeit sowie Service- und Spannungsqualität zusammen. In diesem Artikel wird nur die Netzverfügbarkeit thematisiert, was aber nicht bedeutet dass die Spannungsqualität von untergeordneter Bedeutung ist).
Die Versorgungskennzahlen SAIDI und SAIFI
Diese 2 Kennzahlen werden von der Regulierungsbehörde ElCom erhobenen, ausgewertet und in einem jährlichen Bericht veröffentlicht. Im Rahmen der Sunshine Regulierung sind neuerdings auch die individuellen Werte der Netzbetreiber zugänglich. Dies sind international gängige Kenngrössen und relativ einfach zu erheben. SAIDI und SAIFI sind kundengewichtet, das heisst Haushalts- und Grosskunden haben den gleichen Stellenwert.
Definition SAIDI
Diese Kennzahl steht für die durchschnittliche Dauer der Versorgungsunterbrüche pro Messpunkt und Jahr. Dabei wird die Summe der Dauer aller Versorgungsunterbrüche aller Messpunkte/Kunden (in Minuten) durch die Anzahl Messpunkte geteilt. Die Schweiz hat mit rund 20 Minuten einen der tiefsten SAIDI Kennwerte europaweit. Diese teilen sich praktisch 1 zu 1 in geplante und ungeplante Unterbrechungen. Der Wert der ungeplanten Unterbrechungen hat sich seit 2010 ca. um 50% verbessert.
Definition SAIFI
Die Kennzahl SAIFI steht für die durchschnittliche Menge der Versorgungsunterbrüche pro Messpunkt und Jahr. Dabei wird die Anzahl aller Kunden-Versorgungsunterbrüche durch die Anzahl Messpunkte geteilt.
In der Branchenempfehlung “Distribution Code Schweiz” sind Richtwerte für SAIDI und SAIFI wie auch Zielwerte der maximale Unterbruchsdauer definiert (veröffentlicht vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, Stand Jahr 2014).
Monetäre Bewertung Versorgungszuverlässigkeit
In verschiedenen europäischen Ländern wurde eine sogenannte Qualitäts-Anreizregulierung eingeführt. Der Schaden von Versorgungsunterbrüchen wird bewertet und von den anrechenbaren Kosten abgezogen. Mit diesen Anreizen soll verhindert werden, dass die Netzbetreiber ihre Kosten einseitig optimieren und damit das Qualitätsniveau unter ein volkswirtschaftlich optimales Niveau sinkt.
Diese Bewertung der Versorgungsunterbrüchen basiert auf der nicht (zeitgerecht) gelieferten Energie (NGE). Diese Bewertung ist eine energiegewichtete Kennzahl ohne Einbezug der Anzahl betroffenen Kunden. Zusätzlich kann auch die nicht bereitgestellte Leistung bewertet werden.
Interessant sind die Standard-Unterbrechungskosten, die in Norwegen und Finnland angewendet werden. Norwegen differenziert die Kosten pro Kundengruppe – Gewerbekunden haben wesentlich höhere Ansätze als Haushaltskunden. Finnland hat einen Ansatz für alle Kundengruppen, zusätzlich mit der Bewertung der ausgefallenen Leistung. Geplante Unterbrüche werden generell mit einem tieferen Kostensatz bewertet als ungeplante Ausfälle.
Vergleich SAIDI / SAIFI und nicht gelieferte Energie (NGE)
Die Bewertung der nicht gelieferten Energie (NGE) ermöglicht eine monetäre Quantifizierung des Schadens von Versorgungsunterbrüchen. Sie berücksichtigt im Gegensatz zur SAIDI Kennzahl die Menge und Wertigkeit der Energie, die bei einem Versorgungsunterbruch nicht geliefert wurde.
Im unten stehenden Beispiel wird exemplarisch aufgezeigt, wie Netzstörungen sich höchst unterschiedlich auf die SAIDI-Kennzahl und die Bewertung der nicht gelieferten Energie (NGE) auswirken. In einem Netz treten innerhalb eines Jahres 3 ungeplante Versorgungsunterbrechungen auf, davon 2 auf der Netzebene 5 (Mittelspannung). Bei beiden Unterbrechungen ist ein Industriekunde betroffen, bei einem Unterbruch zusätzlich 100 Haushaltskunden.
Die nicht gelieferte Energie (NGE) wird mit CHF 10 pro kWh bewertet. Besonders fällt der Versorgungsunterbruch im Abschnitt 2 der Netzebene 5 mit einem betroffenen Industriekunden und einer Ausfallleistung von 200kW während 2 Stunden auf. Zur Kennzahl SAIDI trägt dieser Unterbruch weniger als 1% bei. Bei der Bewertung der nicht gelieferten Energie (NGE) ist über ein Drittel der gesamten Ausfallkosten auf diesen Vorfall zurückzuführen!
Vor allem in einem Netz mit einer inhomogenen Kundenstruktur ist die Bewertung der NGE wesentlich besser geeignet als SAIDI und SAIFI, um die Wichtigkeit von Anlagen zu bestimmen.
Netzstrecken, welche Kunden mit einem hohen Schadenspotential bei einem Versorgungsunterbruch versorgen, erhalten eine wesentlich höhere Wichtigkeit. Mit der monetären Bewertung der nicht gelieferten Energie lassen sich Schadenskosten den Präventionskosten (zum Beispiel Ersatz von Leitungen) quantitativ gegenüber stellen, um damit die Projekte mit dem besten Kosten-Nutzen Verhältnis zu priorisieren.
Im Rahmen einer Strategieerarbeitung definieren Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) sinnvollerweise auch Ziele der Netzverfügbarkeit. Doch oft werden Ziele definiert, ohne Klarheit über die Messmethode und deren Unzulänglichkeiten zu schaffen. Solche Zielsysteme sind potentiell irreführend. Die Effekte von Investitionen bzw. fehlenden oder falschen Massnahmen in Versorgungsnetzen zeigt sich meist stark zeitlich verzögert – die aktuellen Verfügbarkeits-Kennzahlen im Netz sind zu einem erheblichen Teil ein Resultat der Massnahmen der letzten Jahrzehnte.
Deswegen macht es Sinn, die Ziele in mehrere Kategorien aufzuteilen wie geplante und ungeplante Unterbrüche. Für Bereiche, die nur längerfristig beeinflusst werden können, sind Inputziele zum halten und verbessern der Zuverlässigkeit des Netzes denkbar, abgeleitet aus den aktuellen und potentiellen Schwachpunkten. Voraussetzung hierfür ist eine Standortbestimmung, um das Verbesserungspotential besser zu verstehen.